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Akkordeontaumel

Artikel erstellt am: 26.09.2014
Kategorien: Neuigkeiten,Laden-Konzerte,Veranstaltungen
Eine ganz persönliche Nachlese von Alexander Öxler zur 10-Jahrefeier im Akkordeon Centrum Brusch
Der Kalender zeigt Samstag, 13. September. Es ist noch früh am Tag, Hamburg erwacht so langsam. Es verspricht ein schöner Tag zu werden. In Kürze schon werden die ersten Gäste über den roten Teppich schreiten. Von Ballongirlanden flankiert, hin zum Pavillon. Schnell noch die welken Blätter der großen Eichen wegfegen. Letzte Fragen, letzte Handgriffe. Kurz vor zehn, erste Besucher werden von den Anwesenden begrüßt und in den Garten geleitet. Ein Shuttlebus startet zu seiner ersten Tour zwischen Großraumparkplatz und Festgelände. Ein Lachen hier, ein fröhliches Moin Moin dort. 
 
Blumengeschenke für die Gastgeber Annett und Henning Schober. Ihnen hatte das Ehepaar Brusch vor zehn Jahren die Gelegenheit gegeben, ihr 1988 gegründetes Akkordeon Centrum zu übernehmen. Der Anlass für die heutige Feier und Gelegenheit, auf die zehn Jahre zurückzublicken, in denen Henning Schober es geschafft hat, das ACB zum größten Akkordeonhaus Deutschlands wachsen zu lassen. Nicht ohne Hilfe, dessen ist er sich nicht nur an diesem Tag bewusst. Sein Dank gilt allen, die ihn begleitet und unterstützt haben: Freunden, Bekannten, Geschäftspartnern und den vielen Kunden, die ihm ihr Vertrauen geschenkt haben. Ganz besonders aber seiner Familie sowie seinen Teams in Hamburg, Berlin und München, die ohne Ausnahme alle da sind an diesem sonnigen Samstag. Gemeinsam haben sie dieses Ereignis geplant, organisiert, vorbereitet. 
 
Hansi Stermetz, Vizeweltmeister auf der Steirischen Harmonika, eröffnet - von seinem oberkrainischen Freund Uros Primozic auf der Gitarre begleitet - das Bühnenprogramm zum 10-Jährigen. Fröhlich, beschwingt, gekonnt. Zwei Muntermacher, die kurzerhand den Garten als Bühne wählen, mittendrin, zwischen den bereits anwesenden Besuchern, der Catering-Crew und einer Schar Kinder, die sich Luftballons organisiert. Der freizügig gespendete Applaus macht offenbar hungrig. Oder ist es mehr der Duft von gegrillten Würstchen und Gulaschsuppe? Brezelbäume locken das Auge. 
 
Und dann geht’s Schlag auf Schlag. Im stündlichen Takt wechseln Musiker, Rhythmus, Stimmung. Mal ernst, mal heiter und beschwingt. Immer aber gekonnt, leidenschaftlich, virtuos. Freude, Staunen und Begeisterung spiegeln die Gesichter der Gäste wider - man verfolgt jeden Tastengriff, frau auch. Gesang, Schlagzeug, Gitarre, Geige, Balalaika – sie begleiten, ergänzen und… heben den Star des Tages hervor: das Akkordeon. Das Handzuginstrument, das in wenigen Jahren bereits seinen 200. Geburtstag feiert, verbindet Nationalitäten, nein: Menschen. Gäste wie Musiker. Die aus Blankenese und die vom Kiez. Nordlichter und die Besucher aus dem Süden der Republik. Musikalische Völkerverständigung live! Kaum jemand hat hier und heute „Firmenjubiläum“ im Sinn, eher „Familienfeier“. Die einer Großfamilie allerdings. Und auch die italienische „Abordnung“ aus Castelfidardo trägt zum internationalen Flair des Tages bei: das Ehepaar Brandoni, das nicht nur seine allesamt in handwerklicher Tradition entstandenen Premium-Akkordeons gleichen Namens mitgebracht hat und heute in einer sehr exklusiven Instrumentenschau vorstellt. Als Jubiläumsgabe, sicherlich auch als Dank für langjährige gute Zusammenarbeit, sind der Akkordeonist Jure Tori aus Slowenien und der kubanische Gitarrist Ariel Cubria mit dabei, die mit ihrem Spiel bei der Brandoni-Schau faszinieren, um dann, zu späterer Stunde auch auf der Hauptbühne vor dem weitgehend musisch infizierten Publikum zu brillieren. 
 
Das ACB-Team ist in seinem Element. Sandra und Tristan, Daniel und Sergej, auch Mario – gemeinsam bewältigen sie den Ansturm im Verkaufsraum, erfüllen Wünsche, notieren Reparaturaufträge und Bestellungen.. 
Und auf der Bühne im Festzelt? Auch Folkloreklassiker? Folklore nein, Klassiker ja. Akkordeonklassiker aus Russland, Frankreich, Argentinien. Das Duo Miroir begeistert gelauscht tänzelnde Melodien. Klassische Musik, im meisterlichen Zusammenspiel von Akkordeon und Balalaika interpretiert von Waldemar Gudi, Dirigent des Hamburger Akkordeonorchesters und Akkordeonlehrer im Akkordeon Centrum Brusch und Alexander Paperny. Die russische Seele lässt grüßen. Ein Kontrast wie Schwarz zu Weiß, nur mal beispielsweise, zu Ulrich Kodjo Wendt oder Matthias Matzke, die ihre Parts ebenfalls bereits abgeliefert haben. Kontrastprogramm nicht, weil sie als Solisten ohne Begleitung  auf der Bühne bestehen müssen im Kreis exzellenter Musikerkollegen. Ein Klacks. Nein, weil sie Akkordeon anders verstehen und spielen. Der eine, unter anderem Film- und Theaterkomponist sowie gefragter Studiomusiker, hat sich dem diatonischen Akkordeon, einem kleinen handlichen Instrument, verschrieben. Der andere, gerade mal 21 Jahre, gilt in Fachkreisen als DER deutsche Nachwuchsakkordeonist, wie ich – mit Hinweis auf etliche gewonnenen Wettbewerbe und weltweite Konzertreisen - erfahre. Sein akustisches Akkordeon hat er an diesem Nachmittag zuhause gelassen, stattdessen sein Roland V-Accordion auf den Schoß gesetzt und den „Analogspielern“ demonstriert, was er als „Digitaler“ einem einzigen Instrument so alles entlocken kann. Heiteres Vogelgezwitscher löst dumpfes Schiffshorn ab. Das Ganze parallel zum Spiel der Melodien, recorded und played back. Patchwork-Sound, kreative Improvisationen. Staunen und Applaus zum Dank. 
 
Ich muss die Akku-Blocks der Kamera wechseln. Dauer-Klick im AGB. Wobei ich hier nicht die Allgemeinen Geschäftsbedingungen meine, sondern den „Akkordeon Garten Brusch“. Kleiner Scherz, den ich aber runterschlucke, für mich behalte. Ich benötige dringend eine Pause. Genehmige mir eine der leckeren Grillwürste, genieße sie. Hoppla, einem der Gäste entgleitet seine im selben Moment und fällt zu Boden. Gelächter. Schnapp, für einen der Hunde hat sich das geduldig-stille Betteln rund um die Grillstation gelohnt. Wuff! Ich freue mich mit ihm und beobachte wieder die Besucher, die allesamt zufrieden zu sein scheinen. Schnacken, lachen, essen und trinken. Immer die Ohren Richtung Bühne gewandt, die Seele baumeln lassen, so scheint es. Ah, schnacken und Bühne sind zwei gute Stichpunkte. Denn einer, der wie kein anderer schnackt, zuweilen ohne Punkt und Komma, das Ganze noch op Platt, soll laut ausgelegtem Programm-Menü kommen. Wie, da fällt Ihnen eigentlich nur einer ein, aber der… der wird ja nicht hier in Niendorf… Meinen Sie? Doch, genau der! Für 13 Uhr 15 waren Yared Dibaba und seine Multikulti-Band angesagt, aber es dauerte noch ein paar Minuten. Yared is jümmers de letzte, auch heute. Spaß. Und schon startete er seine Show mit einem „Moin tosomen!“ und rappt was das Zeug hält. Studiert hierzu mit dem Publikum einen Refrain ein. Drei, vier Versuche und „Ick bruuk Asche“ schallt es auf sein Handzeichen auf die Bühne zurück. Seine Band legt sich ins Zeug, am Akkordeon: Aleš. Zwischen zwei Nummern nutzt Henning Schober die Gelegenheit und vermacht Yared Dibaba ein Akkordeon. Leihweise, für ein halbes Jahr. Er habe die verschiedensten Fähigkeiten, er könne so viel. Schreiben, moderieren, rappen - nicht aber Akkordeonspielen. Das könne er jetzt mal ausprobieren und üben. Kurz verdutzt, dann unwiderstehlich charmant lachend nimmt der Entertainer es entgegen und verspricht, fleißig zu üben und irgendwann eine Kostprobe abzuliefern. Sympathisch. Sein Promi-Status ist ihm nicht anzumerken. Auch nicht nach seinem Auftritt, im Gespräch mit den Besuchern, und auch, als er sich mit seinem kleinen Sohn – wie alle anderen – für ein Getränk anstellt, bevor er zu seinem nächsten Termin aufbricht. Das gefällt, hinterlässt Eindruck. Harmonie und offenes Miteinander toujour. Besser hätte die Stimmung heute, zur 10-Jahresfeier, nicht sein können. Allseits fröhliche Mienen. Wobei, fällt mir gerade ein – einer hat es geschafft, sich miesepetrig zu geben und dafür umso mehr lauthalse Lacher und herzhaftes Beklatschen einzuheimsen: Als 2. Akt vormittags war er schon angesagt: der Akkordeon-Kabarettist Frank Grischek. Trockener Humor, beleidigte Erscheinung, pointierte Komik. Als versierter Sprach- und Ton-Akrobat zog er mit seinem diatonischen Show-Mix die volle Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich. Kleinkunst ganz groß! 
 
Elena aus Berlin bietet CDs der geladenen Künstler an und betreut den Losverkauf für die Tombola. Ach ja, habe ich noch gar nicht erwähnt, dass eine ganze Reihe lukrativer Preise winken, unter anderem ein Prachtstück von Akkordeon aus der renommierten Instrumentenschmiede Cantonelli und zwei „Oldtimer“ – zwei Akkordeonraritäten aus der Schoberschen Privatsammlung. Lösen bei so manchem Besucher „Haben wollen!“ aus und darum den gezielten Griff zur Brieftasche. Ein Los? Oder zwei vielleicht? Elena hat gut zu tun. Während ich vorbeischlendere, fällt mir ein Pärchen, so in den Dreißigern auf. Nicht nur mir, allüberall verrenkte Hälse. Er, blonde schulterlange Haare und rockig-schwarzes Outfit, sie in kurzem Rock und grünem Jäckchen, schweren Stiefeln im Vintage-Look, ihre blonde Mähne bändigt ein schwarzer Zylinder. Die beiden flirten, suchen sich ein Plätzchen an einem der Tische. Fallen auf, stechen aufgrund ihrer Erscheinung raus aus der Menge. Haben nichts dagegen, dass ich sie fotografiere. Lächeln, beide, fast verlegen. Dass ich sie noch ganz anders erleben werde, ahne ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Momentan sind sie nur ein Motiv von vielen an diesem herrlichen Spätsommertag. Die Verlosung der Preise wird verkündet, ich muss zur Bühne. Der Hausherr kneift die Augen zu, greift selbst in die gläserne Losbox und verkündet einen Gewinner nach dem anderen. Mein Sohn ist darunter und hält, mit großen Augen, eine feuerrote Hohner Melodica in Händen. Die Menge fiebert den Hauptpreisen entgegen. Drei Griffe, drei Lose, drei Namen, noch kurz gegenchecken. Ja, alles korrekt. Dani nickt. Die drei Akkordeons wechseln die Besitzer, werden sofort angetestet. Freude auf der Gewinnerseite, Dankeschöns. Hier und dort etwas Enttäuschung dagegen bei denjenigen, denen Fortuna nicht so gewogen war. Na dann, beim nächsten Mal vielleicht. Apropos… Backstage, munkelt man, unterhalte man sich über eine mögliche Fortsetzung dieses außergewöhnlichen Konzerttages. Aleš träumt „Festival“, bekommt glänzende Augen bei dem Gedanken, sehe ich. Zukunftsmusik, winkt er ab. Doch ich traue es ihm zu, auch dass er nicht bis zum nächsten Jubiläum im Akkordeon Centrum Brusch wartet, um seine grenzenlosen Kontakte zu nutzen und seine Musikerfreunde zusammenzutrommeln. Verschmitzt nimmt er das Mikrofon zur Hand und kündigt den Schlussakt an: Renee de la Prade aus San Franzisco. Ein blonder Mittdreißiger in rockig-schwarzem Outfit nimmt hinter dem Schlagzeug Platz, wirbelt die Drumsticks und die Bühne betreten schwere Stiefel im Vintage-Look, nehme ich aus den Augenwinkeln wahr. Ich schaue auf und vor mir steht die Zylinder-Lady. Kurze Begrüßung und Vorstellung, kurzer Blick Richtung Drummer. „Ready, Ingo?“ Der nickt nur und ab geht der Punk: Schlagzeug, Akkordeon und eine gewaltige Stimme. Rhythmisches Stampfen wie eine Solo-Stampede. Die Bühne brennt und das jetzt dichtgedrängte Publikum giert. Orgasmus für Auge und Ohr. Ist dies wirklich mein nett lächelndes Fotomotiv vom Nachmittag? Ja, Wahnsinn! Ich weiß nicht, was an mir mehr schwitzt: meine Hände oder meine Kamera. Denn wie will ich auf einem Foto diesen Cocktail aus französischen und irischen Melodien verschmolzen mit Cajun-Musik auf einem Foto festhalten. Unmöglich! Ich versuche es dennoch, während mir Renees bassverstärktes Knopfakkordeon vor den Augen tanzt. Rock’n’Roll at it’s best. Hammer! Mario hatte Recht, dieser Auftritt ist etwas Besonderes, etwas Besonderes in einem Bühnenprogramm, das eigentlich nur aus Highlights bestand. Ich lasse mir eine CD signieren – als ob ich so dieses Erlebnis mit nach Hause nehmen könnte. Trotzdem… 
 
Der Tag neigt sich dem Ende zu und auch die Jubiläumsfeier. Bis auf einen harten Kern treten die Gäste gemächlich den Heimweg an. Zufrieden, glücklich, begeistert - je nach Typus Mensch und Temperament. Viele waren den ganzen Tag über da, manche ein paar Stunden, nur zu einer raschen Stippvisite niemand. Wie viele gekommen sind, weiß keiner genau. Vermutungen machen die Runde. Da kann die Catering-Crew helfen: Geordert waren Speisen und Getränke für 400 Leute. Da Kuchen, Würstchen und Gulaschsuppe längst aus sind, haben wir jetzt einen Anhaltspunkt. Getränke seien aber noch zu haben, höre ich. Was darf’s für Sie sein, werde ich gefragt. Ein Feierabendbierchen nach mehr als 700 Foto-Klicks erlaube ich mir zum Ende. Doch da sollte ich mich täuschen. Kein Ende, eine Pause lediglich. Denn bald schon greifen die noch anwesenden Musiker erneut zu ihren Instrumenten. In völlig neuer und immer wieder wechselnden Besetzung. Hansi, Aleš und Uros, später auch Sergej. Akkordeon und Schlagzeug. Akkordeon und Gitarre. Akkordeon, Schlagzeug und Gitarre. Keine Zugabe zum Tagesprogramm, nein, eine Jamsession aus Spaß an der Spielfreude – bis spät in die angenehm milde Nacht. Ein Hörgenuss für die noch Anwesenden. Fast wäre sogar getanzt worden. Was die Nachbarn darüber dachten, habe ich nicht erfahren. Zu vorgerückter Stunde greift auch der Hausherr in die Tasten, schmiegt sich an sein Instrument und: spielt. Ganz in sich gekehrt lässt er seine angestauten Emotionen aus sich heraus. Bewegend. Wie auch die kurze Unterbrechung, die sein Team irgendwann fordert. Sie haben ein Präsent für ihren Chef, das er sofort öffnen soll. Ein Dankeschön für die gemeinsame „tolle Zeit“ und für das „erfolgreiche Manövrieren des Schiffes Akkordeon Centrum Brusch in den vergangenen zehn Jahren“. Fetter Applaus der kleinen, noch verbliebenen Schar. Sichtlich gerührt nimmt Henning Schober eine Kapitänsmütze entgegen und: trägt sie den restlichen Abend. Nicht ohne seinen Stolz darüber verhehlen zu können. Iris kommt an unseren Tisch, ein Gläschen Prosecco im Takt schwingend, fragt mich, wie ich den Tag „überstanden“ habe. Den ganzen Tag fotografieren, immer vorne dabei sein und dazu noch Akkordeon nonstop, meint sie. Für sie alle, als Akkordeonisten, sei es ja Genuss pur, sie könnten eh nie genug davon bekommen. 
Ja, ich… Mir wird in diesem Moment erst bewusst, dass ich mich tatsächlich seit bald 11 Stunden im Akkordeontaumel befinde. Ohne darüber nachzudenken, interessiert, nein, fasziniert und begeistert. Wegen eines Jobs bin ich mit meiner Familie aus dem Münchner Raum hierher gekommen. Als Freunde sind wir tags darauf abgereist. Der Alltag rief wieder, die Erinnerung an diesen besonderen Tag aber bleibt. Ein fettes Danke für die wunderschöne Feier bei euch! 

Hier einige Impressionen dieses tollen Teages